Ver dich tung.
Stand: Juni 2014
Ver dich tung, die. Substantiv und Synonym für Konzentration, Ansammlung, Ballung, Komprimierung. Welche Fragestellungen tauchen auf, wenn es dabei um Menschen, Häuser und Verkehrsnetze geht? Ein Beitrag zur qualitätsvollen Innenentwicklung.
Entdichtung.
Zu Beginn ein kurzer Blick in die Vergangenheit. Stellen Sie sich den historischen Kern einer Altstadt aus dem 17. oder 18. Jahrhundert vor: Häuser und Straßen schmiegen sich eng aneinander. Zurück in die Gegenwart. Sie denken an große Städte, wachsende Bewohnerzahlen, knappe Wohnflächen. Und doch wurde noch nie so "dünn" gebaut wie in den letzten hundert Jahren. In Fachkreisen wird von einer "Entdichtung" des Wohnbaus gesprochen. Der großzügige Umgang mit Grund und Boden und insbesondere die Massenmotorisierung haben diese ermöglicht.
Qualitätsmaßstab?
Doch was bedeutet überhaupt Dichte im Wohnbau? Wie wird diese gemessen? Ein Blick in das "Landesrecht Vorarlberg" gibt Antwort über die "Bemessungszahlen für das Maß der baulichen Nutzung und deren Anwendung". Zur Orientierung kann die BNZ (Baunutzungszahl) herangezogen werden, die das Verhältnis der zulässigen Gesamtgeschossfläche zur Nettogrundfläche definiert: Gesamtgeschossfläche/Nettogrundfläche x 100. Das ergibt eine Zahl, die auf den ersten Blick Vergleiche ermöglicht. So hat die "Südtiroler Siedlung" der 1940er-Jahre des letzten Jahrhunderts in Bregenz eine Baunutzungszahl von 87, die Zollhäuser in Feldkirch-Schellenberg eine BNZ von 34, Wohnanlagen aus den 90ern des letzten Jahrhunderts liegen mit 61 genau dazwischen. 34, das entspricht auch in etwa der BNZ eines Einfamilienhauses. Können daraus Schlüsse auf die Lebensqualität gezogen werden? Gibt es die "perfekte Siedlungsdichte"? Wo liegt die Grenze? Gibt es ein Maximum an Dichte, das uns Menschen gut tut? Die Antwort ist ganz klar NEIN.

Dichte ist vielschichtig und benötigt eine Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven. Dazu gehören soziale Struktur, Ökonomie, Lage oder persönliche Identifikation sowie Lebensphase der Bewohner. Das Fachteam Siedlung und Mobilität von Vision Rheintal hat erstmalig Beispiele, exemplarisch für eine Epoche des Wohnbaus des 20. Jahrhunderts, erfasst und typologisiert. Dabei wurden verschiedene Kennzahlen wie Personen pro Hektar und Baunutzungszahl (BNZ) berechnet sowie Chancen analysiert. Entscheidungen im Wohnbau betreffen nicht nur die Qualität einzelner Wohnungen, sondern auch jene der Hausgemeinschaft, der Außenräume im Wohnumfeld und die städtebauliche Qualität eines Quartiers.

»Wir hatten vorher eine Maisonette-Wohnung über zwei Stockwerke. Aufs Alter hin wollten wir eine Wohnung auf einer Ebene, die leicht zugänglich ist. Außerdem genügt uns eine kleinere Wohnung, die Kinder sind weg und für uns reicht das vollkommen. Wir sind hier "schwer zufrieden". Je älter man wird, umso günstiger ist es außerdem, wenn man die diversen Einkaufsmöglichkeiten in nächster Nähe hat. Dies ist bei unserer Wohnung nun der Fall. Wir haben Supermarkt, Apotheke und auch das Kino ums Eck und können alles ganz leicht zu Fuß erreichen.«
Rosalinde und Dietmar Steiner, Bregenz
Landlust oder Landfrust?
Weitläufige Grünflächen, gepflegte Gärten, detailverliebte Dekoration und großzügiges, geschmackvolles Interieur - ein Haus im Grünen ist immer noch ein großer Lebenstraum vieler Österreicherinnen und Österreicher. Bestätigt wird das nicht zuletzt durch die Angaben der Zeitschrift "Landlust", die sich innerhalb der letzten Jahre zu einem der erfolgreichsten und auflagestärksten Magazine mit 3,75 Mio. Lesern im deutschsprachigen Raum gemausert hat. Der Traum vom Haus im Grünen steht immer noch ganz weit oben auf der Wunschliste und wird mit Lebensqualität und Wohlstand assoziiert.
Doch bedeutet das im Alltag tatsächlich mehr Wohnzufriedenheit? Wie sieht es dort mit öffentlicher Infrastruktur, Dingen des täglichen Lebens, Fahrtwegen aus? Die Vorstellung, dass Wohlstand und Dichte scheinbar nicht zusammenpassen, ist uralt. Bereits im 18. Jahrhundert wurde darüber diskutiert. Der sogenannte Dichtestress und die damit assoziierten Konflikte, der Mangel an Licht und schlechte hygienische Bedingungen sind tief verwurzelte Vorbehalte gegenüber "zu viel Dichte". Heutzutage sind eine stärkere Durchmischung und höhere Dichte weitgehend ohne negative Begleiterscheinungen möglich. Die Lärm- und Abgasemissionen von Industrie und Gewerbe haben sich wesentlich reduziert, moderne Baumethoden garantieren ausreichende Belüftung und Belichtung auch bei hoher Dichte. Und überhaupt belegen zahlreiche aktuelle Studien das Gegenteil.

»Ich wohne gerne in Wohnanlagen. Man hat viel Kontakt zu Nachbarn und anderen Leuten. Unsere Kinder lieben den Spielplatz hier, und es kommen viele andere Kinder aus der Umgebung zum Spielen. Wie eine Familie. Außerdem kann ich praktisch alles zu Fuß oder mit dem Bus machen. Wir sind tipptopp zufrieden.«
Christina Santana García lebt mit ihrem Mann Peter und den zwei Töchtern Alicia und Lucía in Bregenz.
Dichte schafft Lebensqualität
Dichte ermöglicht ein vielfältiges Leben. Viele Einrichtungen und Infrastrukturen rechnen sich erst ab einer gewissen Dichte. Das fällt uns im Alltag oft gar nicht auf, wenn Supermarkt, Apotheke oder Kindergarten zu Fuß oder mit dem Bus bequem erreichbar sind. Erst wenn man für jeden Einkauf, jeden Arztbesuch ins Auto steigen muss, wird uns bewusst, dass das Haus im Grünen nicht nur Vorteile mit sich bringt.
"Die städtische Dichte macht eine Mehrheit von uns reicher und produktiver." Marco Salvi, ETH Zürich
Auch die Ökonomie profitiert von Dichte. Die Wirtschaftlichkeit steigt, denn Wirtschaft erfordert Austausch, der durch eine höhere Dichte wesentlich unterstützt wird. So steigt bei entsprechender Dichte beispielsweise die Innovationsfähigkeit, und die Verdoppelung der Arbeitsplätze pro Hektar wirkt sich positiv auf das Pro-Kopf- Einkommen aus.Nicht zuletzt wird der Bodenverbrauch geringer. Notwendige Erschließungsflächen sinken überproportional. Auch aus energetischer Sicht gibt es ein Optimum an Dichte. Die Reduktion von Energie- und Treibstoffverbrauch steht eindrucksvoll in Zusammenhang mit verdichteter Bauweise.
Verdichtung ist für eine zukunftsfähige Struktur notwendig
Das formulieren auch die Fachteams von Vision Rheintal: Dichte ist ein zentrales Element einer nachhaltigen Ortsentwicklung, wenn auch nicht das einzige Kriterium. Damit das gelingt, braucht Verdichtung Qualität. Im Leitbild von Vision Rheintal finden sich dazu unter anderem folgende Empfehlungen:
- Attraktives und lebendiges Wohnumfeld
- Gute (bessere) Infrastruktur
- Kurze Wege, gemischte Nutzung
- Erhalt der Freiflächen
- Optimiertes Mobilitätsangebot
Qualitative Innenentwicklung passiert nicht zufällig. Im Gegenteil. Sie benötigt gemeinsame Konzepte, Planung und einen Blick über den Tellerrand. Vision Rheintal kann diesen wichtigen Diskurs unterstützen. In verschiedenen Veranstaltungen, Gesprächen und Arbeitsteams wird man sich zukünftig diesem Schwerpunktthema widmen. Eines ist von Anfang an klar: Gelungene Verdichtung bringt Lebensqualität und ist ein wichtiges Zukunftspotenzial der Region Rheintal.

»Vorarlberg ist bekannt für seine gute Architektur. Diese hohe Qualität gilt es nun auch über das einzelne Objekt hinaus - für das Quartier, für den Ortsteil, für die Gemeinde im Gesamten zu entwickeln. Das betrifft eine dem Ort angemessene Baudichte, die Ausstattung mit Infrastruktur, ausreichende öffentliche Freiräume und die ansprechende Gestaltung unseres Wohnumfeldes.«
Landesstatthalter Mag. Karlheinz Rüdisser